"From Zero" von Linkin Park: Alle mal die Schnauze halten (2024)

Mit neuer Sängerin und alten Themen sanieren Linkin Park einen eigentlich abrissbedürftigen Sound. Nu Metal ist zurück und klingt auf "From Zero" gar nicht so schlecht.

Von Julia Lorenz

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Jetzt mal Ruhe im Karton: EmilyArmstrong muss nachdenken. Und wer könnte es ihr verübeln? Erst im Septemberwurde verkündet, dass sie als neue Sängerin bei Linkin Parkeinsteigen wird. Nun steht Armstrong, zuvor Gründerin der mäßig bekannten BandDead Sarah, im Video zur Linkin-Park-Single Two Faced parat underbittet sich von der skeptischen Welt ein bisschen Ruhe vor dem Karrieresturm.

"Stop yelling at me, I can't hear myself think", flüstert sieerst, steigert sich dann hinein in großes Gebrüll. Neben ihr verrichtet der DJ JoeHahn Dinge, die man früher wohl mit "rockt an den Turntables"beschrieben hätte. Man sieht die Band aus einem unmöglichenWinkel in die Kamera wüten, als filme ein staunendes Kleinkind die Szenerie, alle tragen Anzug undKrawatte, es wird gar allen Ernstes mit den Händen gefuchtelt (Yo, yo, yo!). So, liebe Vertreter der Generation Z, die ihr die Moden der Nullerjahre sobegeistert nachkauft, sahen die Nullerjahre übrigens wirklich aus.

Alle möglichen Trends ausdiesem Jahrzehnt haben uns in der jüngeren Vergangenheit wieder heimgesucht:Hüftjeans, Size Zero und, bei Musikern wie Machine Gun Kelly, sogar Emorock.Dem sogenannten Nu Metal allerdings, diesem Genre, das auf dem neuen Album vonLinkin Park so mustergültig aus dem Totenreich zurückdefibrilliert wird, wolltebisher niemand ein Comeback im großen Stil bescheren. Das ist nicht weitererstaunlich, denn wenige Stile sind so schlecht gealtert wie diese Musik derrockenden Turntables und harten, tiefhängenden Gitarren.

Nichts an der Musik vonheute völlig zu Recht despektierlich behandelten Bands wie Limp Bizkit oderKorn klingt zeitlos, weil sie ihrer Zeit gnadenlos verhaftet war. Die Gruppen griffen aufkeine Rocktradition zurück, außer auf die seit den frühen Neunzigerjahren virulenteIdee, zu harter Gitarrenmusik zu rappen, und spritzten dazu denwichtigtuerischen Maschinensound von Bands wie Tool fit für die Heavy Rotationim damals noch sehr lebendigen Musikfernsehen.

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Womit man bei Linkin Parkwäre, dieser einst wohl größten Rockband der Welt, die kaum ein Millennialerwähnen kann, ohne im nächsten Atemzug über Weltschmerz im Schulbus zuerzählen, und der nach dem Suizid ihres Sängers Chester Bennington im Jahr 2017etwas Tragisches, Gravitätisches anhaftete.

Immer klang diese Band überwältigenderals ihre Genrekonkurrenten, undoofer auch, und das, obwohl sich ihreberühmtesten Songs fast ausschließlich auf eine schlichte Formel bringenlassen: Ein Synthesizer spielt jene Art Melodie, zu derHelden in Endzeitfilmen fassungslos über die verwaiste Welt gucken. Einaufgepeitschter Rapper rappt, ein melancholischer Sänger singt, und dannplötzlich knallt ein Refrain tonnenschwer in die Apokalypsenlandschaft. HeiligerErnst, große Materialschlacht. Für viele Menschen war dies der perfekte Sound,um sich zugleich klein und riesengroß zu fühlen in diesem 21. Jahrhundert, dassich gerade vor den Augen aller formierte.

An die Sehnsucht nachvermeintlich leichteren Zeiten, die sich aus dem Jugendzimmer natürlich maximalschwer anfühlten, knüpfen die Schmerzens- und Geschäftsmänner von Linkin Parkmit ihrer neuen Sängerin knallhart an, wenn sie ihr neues Album From Zeronennen. Fans wissen, dass die Band vor ihren großen Erfolgen unter dem NamenXero unterwegs war.

Überhaupt ist From Zero eine Platte derSelbstzitate: Da sind Songs wie die Singles The Emptiness Machine odereben Two Faced, die so – bemühen wir doch mal das blöde Wort –authentisch nach den frühen Erfolgsalben von Linkin Park klingen, als habe sichdie Welt nicht weitergedreht. Da sind Popversionen des markanten Sounds derBand, an die man sich schon auf den letzten Alben mit Chester Benningtongewöhnen konnte. Da sind gut gekeifte Refrains, die sich anhören, als seien siegeschrieben worden, um auf der kommenden Riesentournee der Band von den Massenmitgesungen zu werden.

Klugerweise versucht EmilyArmstrong bei alledem gar nicht erst, Chester Bennington zu imitieren. Währendder sich an den Schreiparts seiner Songs abzumühen schien wie eineRaupe, die über scharfkantigen Grund kriecht, klingt Armstrongs Grollen ganzanders, fies und nach Grab. Sie grollt sich ein paar unterhaltsameHardcoresongs aus dem Leib, wie man sie so von der Band tatsächlich noch nichtgehört hat (von anderen Bands allerdings schon). Der ewige Mike Shinoda rapptdazu wie immer, er singt und schreit auch ein bisschen. Rob Bourdon, derfrühere Schlagzeuger, wurde ersetzt durch den Musiker und Produzenten ColinBrittain, der zu Linkin Parks frühen Hochzeiten selbst noch Teenager war.

Erst mal ein kleines PR-Desaster

Wie die Argonauten, die lautder Sage ihr Schiff auf ihrer Reise beständig Teil um Teil erneuerten, habensich Linkin Park durchrenoviert, um ihren eigenen Mythos noch einmalaufzuführen. Bemerkenswert ist das alles zum einen, weil der Hightech-DampferLinkin Park im Grunde unrenovierbar ist, unrettbar abgestellt in irgendeiner Nullerjahre-Werft.Und zum anderen, weil das Ganze längst nicht so grottenschlecht ist, wie manche Kollegen aus dem Feuilleton schreiben (so gut, wie Teile der klassischenRockpresse finden, ist es allerdings auch nicht). Vielmehr ist From Zeroauf eine Art rührend, die einen nicht zu Herablassung veranlassen muss, dabeiselbstbewusst reaktionär. In der Welt des Musikjournalismus nenntman so eine aufmerksam kuratierte halbe Stunde: Fan-Service.

Das klingt billiger, als esist, wenn das Bandmitglied mit den wahrscheinlich meisten Fans nicht mehr amLeben ist und ersetzt wurde von einer Künstlerin, die noch vor Veröffentlichungdes Albums ein kleines PR-Desaster verursacht hat: Armstrong setzte sich für den Schauspielerund Scientologen Danny Masterson ein, als dieser sich wegen des Vorwurfs derVergewaltigung vor Gericht verantworten musste. (Masterson wurde inzwischenverurteilt und sitzt im Gefängnis, Armstrong hat sich von ihm distanziert.)Zudem wird der Musikerin vorgeworfen, der Sekte selbst mindestens nahezustehen.

Aufdie Angst vor der ungewissen Zukunft hat die Sängerin also womöglich ganzeigene Antworten. Ihre neue Band macht derweil einen guten Job, indem sie ihrealten Fragen einfach noch mal stellt.

"From Zero" vonLinkin Park ist bei Machine Shop/Warner erschienen.

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Author: Maia Crooks Jr

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